Darf die Polizei das? Polizeigewalt: Wie kann ich mich wehren und was versteht man darunter?

von KLUGO Redaktion
29.04.2024
3 Min Lesezeit

Plötzlich befindet man sich in einer Situation, in der es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen der Polizei und einem oder mehreren Menschen kommt. Schnell ist die Frage da: Darf die Polizei das? Erfahre hier, woran du potenzielle Polizeigewalt erkennen und und wie du dich bei ihrem Auftreten verhalten solltest.

Polizeigewalt Das Wichtigste in Kürze

  • Polizeigewalt liegt vor, wenn die Anwendung der Gewalt durch Polizisten nicht angemessen ist.
  • Wann sie unangemessen ist, muss im individuellen Fall gerichtlich geklärt werden.
  • Zeugen von Polizeigewalt sollten den Vorfall beobachten und ggf. filmen.
  • Betroffene sollten sich an einen Anwalt für Strafrecht wenden, um Strafanzeige zu stellen.

Was darf die Polizei?

Grundsätzlich ist es der Polizei erlaubt, Gewalt anzuwenden. Dies kann beispielsweise bei einer Festnahme notwendig sein. Je nachdem, ob die Person sich wehrt, Waffen bei sich trägt, psychisch beeinträchtigt ist oder unter Alkoholeinfluss steht, kann die Anwendung von Gewalt notwendig sein. Jedoch muss die Gewalt der Situation immer angemessen sein. Ob das der Fall ist, ist für Unbeteiligte oftmals schwer einschätzbar.

Wann spricht man von Polizeigewalt?

Unter Polizeigewalt versteht man das Anwenden von unangemessener Gewalt. Sichtbar ist sie beispielsweise als Schläge, Würgen oder das Treten einer Person. Aber auch der nicht notwendige Einsatz von Schusswaffen, Schikane, die Erniedrigung einer Person oder rassistische Diskriminierung gehören dazu.

In den USA werden immer wieder Fälle von enormer Polizeigewalt bekannt, in denen scheinbar verdächtige Personen erschossen oder körperlich misshandelt werden. Besondere Aufmerksamkeit gab es, als Eric Garner im Jahr 2014 starb, nachdem der Asthmakranke von Polizisten gewaltvoll am Boden fixiert wurde. Ebenso starb George Floyd im Jahr 2020, als ein Polizist mehr als neun Minuten mit seinem Körpergewicht auf dessen Hals wirkte. Beide Opfer von Polizeigewalt wurden für ihren Ausspruch „I can’t breathe“ (“Ich kann nicht atmen“) bekannt und entfachten eine Bürgerrechtsbewegung gegen Polizeigewalt.

Wie viele Opfer von Polizeigewalt gibt es in Deutschland?

2023 erschien die Studie „Gewalt im Amt“, die an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main im Rahmen des Forschungsprojekts „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamten“ (KviAPol) erarbeitet wurde. Demnach gab es im Jahr 2021 2790 Ermittlungsverfahren gegen Polizeikräfte wegen rechtswidriger Gewaltausübung. Polizeigewalt in Deutschland geht häufig von jungen Polizisten aus und wendet sich zu 72 Prozent gegen Männer.

Was kannst du tun, wenn dir Polizeigewalt begegnet?

Als außenstehende Person ist es oftmals schwer einzuschätzen, ob die angewendete Gewalt angemessen ist. Das ist vor allem der Fall, wenn man erst mitten im Geschehen hinzustößt. Wenn man jedoch das Gefühl hat, dass die Situation einen Fall von Polizeigewalt darstellen könnte, sollte man die Situation beobachten.

1. Beobachte die Situation

Bleib in sicherer Entfernung stehen und beobachte das Geschehen. Mach dir ggf. Notizen zu dem Vorgang. Wenn du dem Dialog folgen kannst, schreib das Gehörte auf. Notiere dir den Namen des Beamten, wenn dieser auf der Uniform des Polizisten erkennbar ist. Sprich andere Passanten an und hol dir eine Einschätzung ein. Finden diese das Vorgehen auch fragwürdig? Würden diese Passanten als mögliche Zeugen vor Ort bleiben? Nach der Kontrolle kannst du die von Polizeigewalt betroffene Person ansprechen und anbieten, als Zeuge auszusagen.

2. Filme die Situation

Es ist grundsätzlich empfehlenswert, den Polizeieinsatz zu filmen. So gibt es für eine weitere Verfolgung Beweismaterial, das ausgewertet werden kann. Jedoch versucht die Polizei unter Heranziehen verschiedener Argumentationslinien das Filmen von vermeintlicher Polizeigewalt zu verhindern. Bis 2015 berief sie sich auf das Kunsturhebergesetz, um gegen das Filmen vorzugehen. Das Gesetz bezieht sich aber nur auf das Verbreiten der Aufnahmen. Die Polizei darf das Verbreiten der Aufnahmen aber nicht voraussetzen und so das Filmen unterbinden.

Seither beruft sich die Polizei auf § 201 StGB und den Schutz der „Vertraulichkeit des Wortes“. Hier geht es um den Schutz des gesprochenen Wortes und damit um die Tonspur der Aufnahme. Wer sich in einiger Entfernung zum Einsatz befindet – und so den Wortlaut nicht mitfilmen kann – kann diesen Vorwurf entkräften. Trotzdem wird die Polizei grundsätzlich versuchen, das Filmen zu unterbinden. Je mehr Passanten das Geschehen filmen, desto schwieriger wird dieses Vorhaben.

Darf die Polizei mein Smartphone beschlagnahmen?

Da die rechtliche Situation bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist, bleibt die Rechtslage schwierig. Die Polizei kann ohne weitere Begründung den Anfangsverdacht einer Straftat behaupten, um das Smartphone beschlagnahmen zu können.

Um möglichst wenig Anlass zu diesem Vorgehen zu bieten, solltest du diese Tipps befolgen:

  • Filme möglichst unauffällig, aber nicht versteckt
  • Kündige nicht an, die Aufnahmen zu veröffentlichen
  • Fordere weitere Passanten auf, das Geschehen zu filmen

Wenn die Polizei dein Smartphone dennoch beschlagnahmen möchte, sperre in jedem Fall den Bildschirm. So haben Unbefugte keinen Zugriff auf die Aufnahmen und das Löschen von potenziellem Beweismaterial wird verhindert.

Wie kann ich sonst noch eingreifen?

Festnahmen oder Personenkontrollen können auch für Polizisten eine enorme Stresssituation darstellen, wenn die betroffene Person beispielsweise selbst Gewalt ausübt. Je nach Situation kann es eine Möglichkeit darstellen, die Kollegen des Polizisten darauf hinzuweisen, dass die Gewalt nicht angemessen erscheint und um ein Einschreiten bitten. Nicht involvierte Polizeibeamten können dann im besten Fall deeskalierend wirken.

Außerdem ist es möglich, den Polizeinotruf 110 zu wählen und die Situation zu schildern. Auch diese Aufnahmen können später als Beweismaterial fungieren.

Was können Opfer von Polizeigewalt tun?

Es ist immer empfehlenswert, Anzeige zu erstatten, um so Polizeigewalt auch in Statistiken sichtbar zu machen.

Betroffene sollten wie folgt vorgehen:

  • Zeugen ausmachen: Noch am Ort des Geschehens sollten aktiv Zeugen gesucht werden, die für eine Zeugenaussage zur Verfügung stehen würden.
  • Gedächtnisprotokoll: Betroffene sollten umgehend nach dem Vorfall alle relevanten Informationen zu dem Ablauf aufschreiben.
  • Medizinische Dokumentation: Wurde körperliche Gewalt angewendet, sollten etwaige Verletzungen und Auffälligkeiten von einem Arzt dokumentiert werden.
  • Fachanwalt für Strafrecht gegen Polizeigewalt einschalten.

Wie sinnvoll ist es, Polizisten anzuzeigen?

Die Entscheidung, Polizisten wegen Gewaltanwendung anzuzeigen, ist eine komplexe und persönliche Angelegenheit. Verschiedene Faktoren spielen eine Rolle, darunter die Schwere der Gewalt, die Umstände, unter denen sie stattgefunden hat, sowie die individuellen Rechte und Ziele des Opfers. Es ist wichtig zu bedenken, dass das Anzeigen von Polizisten auch Risiken und Herausforderungen mit sich bringen kann. Dies kann zu weiterer Belastungen führen.

Wichtig zu wissen ist, dass nur in zwei Prozent der Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte eine Anklage oder ein Strafbefehlsantrag folgt, die restlichen Verfahren werden eingestellt.

Wenn du darüber nachdenkst, eine Anzeige zu erstatten, aber unsicher bist, kann es ratsam sein, rechtlichen Rat einzuholen. Ein KLUGO Rechtsexperte für Strafrecht kann dir helfen, die Situation zu bewerten und dir wertvolle Ratschläge für das weitere Vorgehen geben.

Habe ich als Opfer von Polizeigewalt Anspruch auf Schmerzensgeld / Schadensersatz?

Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch, aber mittlerweile die Möglichkeit, als Opfer von Polizeigewalt Schmerzensgeld zu erhalten. Richtungsweisend war ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) im Jahr 2017 (Az.: III ZR 71/17). Dort wurde einem Mann Schadensersatz zugestanden, nachdem er bei einer Festnahme Schulterverletzungen erlitten hatte. Später stellte sich heraus, dass der Zugriff rechtmäßig, die Person aber falsch verdächtigt wurde. Er erhielt ein Schmerzensgeld.

Der BGH verwies in seiner Begründung auf das „Zweite Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften“ vom 19.7.2002, das mehr Spielraum für Schmerzensgeldansprüche lasse. Grundsätzlich gibt es länderspezifische Regelungen, die im Einzelfall Beachtung finden müssen.

Bist du Opfer von Polizeigewalt geworden und erwägst eine Strafanzeige? Dann wende dich an einen KLUGO Rechtsexperte für Strafrecht und besprich deine Möglichkeiten.

Beitrag juristisch geprüft von der KLUGO-Redaktion

Der Beitrag wurde mit großer Sorgfalt von der KLUGO-Redaktion erstellt und juristisch geprüft. Dazu ergänzen wir unseren Ratgeber mit wertvollen Tipps direkt vom Experten: Unsere spezialisierten Partner-Anwälte zeigen auf, worauf es beim jeweiligen Thema ankommt.

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