Freitags streiken Schüler auf der Straße, um sich – nach dem Vorbild der Initiatorin der längst globalen Streikbewegung Fridays for Future Greta Thunberg – für umfassenden, schnellen und effizienten Klimaschutz einzusetzen. Doch dürfen Schüler streiken? Was ist mit der Schulpflicht und ist das Fernbleiben vom Unterricht erlaubt?
Am 20. August 2018 setzte sich die 15-jährige Schülerin Greta Thunberg mit einem selbstgemachten Schild vor den Schwedischen Reichstag, dem Sitz des Schwedischen Parlaments. Darauf stand: Skolstrejk för klimatet, auf Deutsch: Schulstreik fürs Klima. Drei Wochen blieb die schulpflichtige Greta streikend dem Unterricht fern, anschließend fehlte sie jeden Freitag.
Mit ihrem Schulstreik initiierte Greta Thunberg eine Bewegung: Fridays for Future. Rund um die Welt streiken Schüler freitags auf der Straße für die Rettung des Klimas – und damit für ihre eigene lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten. Sie werden längst von vielen Erwachsenen unterstützt und auf den Streiks begleitet:
Bewegungen von Erwachsenen, die den Fridays for Future Streik unterstützen:
Am 20. und 27. September 2019, zum dritten globalen Klimastreik, zu dem Greta Thunberg, die Bewegung Fridays for Future und viele Unterstützer aufgerufen hatten, gingen Millionen Schüler und Erwachsene weltweit auf der Straße. Der Schülerstreik Klimawandel wurde damit zu einem globalen Streik, den viele erwachsene Teile der Gesellschaft trugen.
Die freitäglichen Schülerstreiks gehen weiter, ungeachtet dessen, ob Schule ist oder Ferien sind. Das Datum für den kommenden globalen Klimastreik auch schon steht fest: 29. November 2019. Die Frage ist:
Nach Gretas Vorbild findet der Fridays for Future Streik meist in der Schulzeit statt. Doch gibt es für Schüler, die der Schulpflicht unterliegen, überhaupt ein Recht auf Streik? Haben streikende Schüler ein Recht auf Versammlungsfreiheit? Ist der Schülerstreik eine Form freier Meinungsäußerung, auf die jeder in Deutschland ein Recht hat? Fragen über Fragen zur Rechtslage, die hier beantwortet werden:
In Deutschland besteht eine Schulpflicht. Sie wird wegen der Kulturhoheit der Bundesländer in deren jeweiligen Landesverfassungen geregelt. Die Ermächtigung dazu steht im Grundgesetz in Artikel 7 Absatz 1: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates“. Daraus, so entschied das Bundesverfassungsgericht, ergebe sich das Recht der Bundesländer, die Schulpflicht mit Landesgesetzen festzulegen.
Die für Bildung und Erziehung, Hochschulen und Forschung sowie kulturelle Angelegenheiten zuständigen Kulturminister und Senatoren der Bundesländer arbeiten in der sogenannten Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, kurz: Kultusministerkonferenz, zusammen. Sie haben zum Schülerstreik eindeutig Stellung bezogen: „Die Teilnahme an Demonstrationen rechtfertigt nicht das Fernbleiben vom Unterricht oder eine sonstige Beeinträchtigung des Unterrichts. Das Demonstrationsrecht kann in der unterrichtsfreien Zeit ausgeübt werden“.
Aber: Laut dem nach seinem Autor bezeichneten Avenarius, einem Handbuch zum Schulrecht für Praxis, Rechtsprechung und Wissenschaft, sei der Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 1973 als lapidar zu bewerten. Vielmehr seien beim Schulstreik zwei Grundrechte gegeneinander abzuwägen: zum einen der oben angeführte aus Artikel 7 resultierende Erziehungsauftrag des Staates und zum anderen die in Artikel 8 garantierte Versammlungsfreiheit.
Dem Magazin Spiegel gegenüber erklärte der Verfassungsrechtler Holger Zuck aus Stuttgart, dass Schüler ein Recht auf Spontandemonstrationen hätten, auch während der Schulzeit, wenn die Demo nach Unterrichtsschluss zu spät käme. Weil ein Fridays for Future Streik nicht spontan, sondern geplant sei, gelte Zuck zufolge zunächst die Schulpflicht, gleichwohl es das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gebe.
Laut geltendem Schulrecht dürfen Schüler nicht unentschuldigt vom Unterricht fernbleiben, sprich: sie dürfen während des Unterrichts auch nicht unentschuldigt streiken. Aus Sicht der Gesetzgeber könnten sie schließlich ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch nach Schulschluss ausüben. Schüler haben demnach kein Grundrecht auf Schulstreik, das Grundgesetz sehe nur für den Arbeitskampf ein sogenanntes Streikrecht vor. Die Landesschulordnungen regeln, dass das unentschuldigte Fehlen mit sogenannten Ordnungsmaßnahmen geahndet werden könne, denn das Fernbleiben vom Unterricht sei eine Ordnungswidrigkeit.
Das Schulgesetz von Niedersachsen zum Beispiel nennt als mögliche Schuldisziplinarmaßnahmen unter anderem:
Mögliche Sanktionen für streikende Schüler laut niedersächsischem Schulrecht:
Den Schulverweis beschreibt der bereits erwähnte Schulrechtsklassiker Avenarius beim Thema Schulstreik jedoch als nahezu unwirksam, da dies ein Gruppenstreik sei und der Verweis einem Gruppenverweis gleichkäme. Auch der Ausschluss der streikwilligen Schüler vom Unterricht sei demnach sinnwidrig.
Doch das in den Landesschulordnungen geregelte Schulrecht kennt eine sogenannte Beurlaubung vom Unterricht aus zwingenden Gründen, die in der Praxis teilweise mitunter auch recht banal sein können, wie das Beispiel Baden-Württemberg zeigt: Dort gilt die Teilnahme an sportlichen oder kirchlichen Veranstaltungen als zwingender Grund für eine Unterrichtsbefreiung, sagt Holger Zuck dem Spiegel.
Für die auf Schul- und Verfassungsrecht spezialisierte Rechtsanwältin Katrin Over aus München könne der Fridays for Future Streik dem Spiegel zufolge ein solcher, zwingender Grund sein: Dann nämlich, wenn die Schüler argumentieren würden, dass ihnen ihre Ausbildung nichts bringe, wenn sie an den Folgen des Klimawandels sterben.
Es gibt demnach die Möglichkeit, sich für den Schülerstreik Klimawandel vom Unterricht befreien zu lassen. Mit einer Entschuldigung. Über diese entscheidet dann die Schule, indem sie abwägt, ob der Unterricht vom Fernbleiben des streikenden Schülers spürbar gestört wird oder nicht. Wichtig: Es dürfe bei der Entscheidung nicht um den Inhalt des Streiks gehen, betont Verfassungsrechtler Zuck gegenüber dem Spiegel.
Schüler haben die Möglichkeit sich vom Unterricht beurlauben zu lassen, wenn dafür "zwingende Gründe" vorliegen. Das ist in der Schuldordnungen der Länder geklärt. Dies wäre der Fall, wenn die Schüler so argumentieren, dass das Klima als einen zwingenden Grund anzusehen ist, dem Unterricht fernzubleiben.
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