Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, kurz BMJV, prüft aktuell eine Änderung der Strafprozessordnung. Bei Verbrechen wie Mord oder Völkermord soll zukünftig eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens möglich sein. Der enge Rahmen des Grundgesetzes lässt jedoch keine großen Reformen zu. Abhilfe soll eine Ergänzung von § 362 StPO schaffen – doch Kritiker sehen hierdurch die Rechtssicherheit bedroht.
Der lateinische Leitspruch „ne bis in idem“, der übersetzt „nicht zweimal in derselben Sache“ bedeutet und seinen Ursprung im römischen Recht hat, wurde 1949 sinngemäß in Art. 103 Abs. 3 GG verankert. So heißt es hier: „Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“ Der Artikel garantiert also, dass die Strafverfolgung durch ein rechtskräftiges Urteil oder einen Freispruch beendet ist und niemand doppelt oder mehrfach bestraft werden kann. Damit sind die Bürgerinnen und Bürger vor staatlicher Willkür geschützt, und dem öffentlichen Interesse an einem Verfahrensausgang wird Genüge getan.
Die Strafprozessordnung, kurz StPO, regelt derweil in § 362, dass die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zu Ungunsten eines rechtskräftig Freigesprochenen nur in eng begrenzten Ausnahmesituationen möglich ist. Diese treten lediglich bei eklatanten Prozessfehlern oder einem glaubhaften Geständnis des Freigesprochenen ein.
Vergangene Versuche, das geltende Doppelbestrafungsverbot zu kippen
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gab es einige Versuche, das Doppelbestrafungsverbot aufzuweichen. Der Bundesrat verabschiedete 2007 einen Gesetzentwurf, der eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens bei Mord, Völkermord und Kriegsverbrechen vorsah. Nach einer Sachverständigenanhörung des Bundestags verlor der Reformgedanke 2009 jedoch zunächst an Beachtung. Vor einigen Jahren rückte schließlich ein Bürger, dessen Tochter 1981 vergewaltigt und ermordet worden war, das Thema mithilfe einer Petition, die mehr als 100.000 Unterstützer fand, wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die öffentliche Debatte entflammte daraufhin erneut.
Berichten des juristischen Fachportals Legal Tribune Online zufolge prüft das BMJV derzeit die Umsetzung einer Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Dort heißt es: „Wir erweitern die Wiederaufnahmemöglichkeiten zu Ungunsten der oder des freigesprochenen Angeklagten in Bezug auf die nicht verjährbaren Strafen.“ Gleichzeitig betont Ministeriumssprecher Maximilian Kall, dass dieses Unterfangen „schwierige verfassungsrechtliche Fragen“ aufwerfe.
Für die Zukunft plant das Ministerium, den Spielraum, den § 362 StPO bietet, durch eine Ergänzung vollumfänglich auszuschöpfen, ohne dass eine Grundgesetzänderung notwendig wird. Die Regierungskoalition sieht hierbei eine Beschränkung auf schwerwiegende Kapitalverbrechen, die nicht verjähren, vor. Bedingung für die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens sei jedoch unter anderem, dass neue technische Möglichkeiten für eine erneute Beweismittelauswertung vorliegen müssen. Das Ministerium betont zudem, dass aufgrund des Rückwirkungsverbots eine mögliche Gesetzesreform keine Gültigkeit für bereits abgeschlossene Verfahren habe.
Der Deutsche Anwaltverein schlägt angesichts des Plans von CDU, CSU und SPD Alarm, denn Prozessverständnis und Grundgesetz lassen nach Meinung des mitgliederstarken Verbands keinen Raum für eine Einschränkung des Doppelbestrafungsverbots. Zweifel an der Konsistenz der Regierungspläne werden laut.
Die Befürchtung ist zudem groß, dass sich die Reform schnell auch auf andere Straftatbestände ausweiten könnte. Der Rechtsprofessorin Dr. Sabine Swoboda gelang es bereits bei vorherigen Diskussionen, Befürwortern und Kritikern am Beispiel von Großbritannien aufzuzeigen, wie rasch ein zunächst beschränkter Gesetzesvorstoß zur Wiederaufnahme von Strafverfahren an Zuwachs gewinnt, denn nur wenige Jahre später wurden auch Sexual- und Drogendelikte, Brandstiftung und Terrorismus zu Bestandteilen der britischen Gesetzesreform. Der Grundsatz „ne bis in idem“ droht somit immer mehr an Bedeutung zu verlieren – und die Rechtssicherheit gerät ins Wanken.
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