STAND 16.02.2024 | LESEZEIT 9 MIN
Manchmal entscheiden Nuancen, wann ein sexueller Übergriff als Nötigung gilt und wann er als Vergewaltigung gewertet wird. In diesem Beitrag erklären wir die Unterschiede zwischen den sexuellen Straftaten, die in § 177 StGB verhandelt werden.
Kommt es zu einem sexuellen Übergriff, spricht man schnell von einer Vergewaltigung. Es gibt jedoch diverse sexuelle Handlungen, zwischen denen in der Rechtsprechung gemäß ihrer Schwere und den Umständen unterschieden wird. In § 177 StGB werden neben der Vergewaltigung auch Straftaten wie der sexuelle Übergriff und die sexuelle Nötigung unter Strafe gestellt. Alle dort aufgeführten Taten sind Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und werden strafrechtlich verfolgt.
Unter einer sexuellen Nötigung sind sexuelle Handlungen zu verstehen, die gegen den Willen des Opfers am Opfer selbst oder einer dritten Person vorgenommen werden. Dabei nötigt der Täter das Opfer durch Drohung oder Anwendung von Gewalt oder durch Ausnutzung einer hilflosen Lage. So ist das Berühren der Geschlechtsteile, erzwungene Zungenküsse oder der Griff unter die Kleidung, beispielsweise an die Brust gegen den Willen des Opfers, eine sexuelle Nötigung. Es ist ein Strafmaß von mindestens einem Jahr und bis zu 15 Jahre vorgesehen.
Eine Vergewaltigung ist eine sexuelle Nötigung unter erschwerten Umständen. Hier wird gegen den Willen des Opfers der Beischlaf vollzogen oder es werden Handlungen ausgeführt, die dem ähnlich sind und das Opfer besonders erniedrigen sollen und dem Geschlechtsverkehr ähnlich sind.
Opfern einer Vergewaltigung innerhalb einer Ehe sind erst seit 1998 die gleichen Möglichkeiten gegeben gegen die Tat vorzugehen. Bis 1997 wurde die Tat nicht als Vergewaltigung behandelt und somit nicht unter Strafe gestellt.
2016 wurde der § 177 StGB um den Straftatbestand des sexuellen Übergriffs erweitert. Er greift dem Ziel der Reform entsprechend in allen Fällen, in denen der Täter gegen den erkennbaren Willen des Opfers eine sexuelle Handlung vornimmt oder das Opfer dazu bringt, sexuelle Handlungen an sich selbst oder Dritten vorzunehmen.
Um den Tatbestand des sexuellen Übergriffs zu erfüllen, muss der Täter keine körperliche Gewalt anwenden, Drohungen ausstoßen oder das Opfer auf andere Art und Weise nötigen. Für einen sexuellen Übergriff reicht es aus, dass die Person gegen den erkennbaren Willen handelt, dafür hat sich der Grundsatz „Nein heißt Nein“ eingebürgert. Demgemäß macht sich eine Person bereits dann strafbar, wenn trotz einem „Nein“ sexuelle Handlungen durchführt werden – auch ohne Gewalt.
Wenn sich eine Person in einer Schockstarre befindet oder sich aus anderen Gründen nicht mit einem „Nein“ äußern kann, kann die Tat oftmals nicht bestraft werden. Deshalb wäre ein „Ja ist Ja“-Grundsatz rechtssicherer.
Situationen, in denen der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, um ein Opfer beispielsweise zu „begrapschen“ oder die Lage zwischen den Beteiligten mangels einer ausdrücklichen Einwilligung undurchsichtig bleibt, werden unter den Straftatbestand der sexuellen Ausnutzung sonstiger Umstände (§ 177 Abs. 2 StGB) subsumiert. Hierfür ist ebenfalls eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen.
Wie hoch die Freiheitsstrafe für Vergewaltigung ist, richtet sich nach dem Kontext und der Schwere. Grundsätzlich sind Strafen zwischen zwei und 15 Jahren möglich. Stirbt das Opfer bei einer Vergewaltigung, handelt es sich nach § 178 StGB um eine Vergewaltigung mit Todesfolge. Hierbei kann es Überschneidungen mit der Straftat Mord (§ 211 StGB) geben, auf die eine lebenslange Haft steht.
Begeht eine Person unter 21 Jahren eine sexuelle Straftat, liegt es im Ermessen des Gerichts, ob Erwachsenenstrafrecht oder Jugendstrafrecht angewendet wird. Im Falle eines 19-Jährigen, der sich mit einer sexuellen Nötigung strafbar machte, wurde das Jugendstrafrecht angewendet, was eine Geldstrafe von 1000 Euro und die Übernahme der entstandenen Auslagen des Opfers nach sich zog (AG Rudolstadt, Urteil vom 06.05.2019, Az. 462 Js 34108/18 - 1 Ls jug).
Bei einer Vergewaltigung erleidet das Opfer neben der physischen Gewalt auch psychische Schmerzen. Für die erlittenen Schäden hat das Opfer Anspruch auf Entschädigung. Diesen kann es in einem zivilen Prozess in Form von Schmerzensgeld einklagen. Die Höhe des Schmerzensgeldes richtet sich nach dem individuellen Fall.
So muss ein Mann seinem Opfer wegen einer versuchten Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung 7.500 Euro Schmerzensgeld zahlen. Hinzu kommt eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung, die Zahlung von 1000 Euro an die Gießener Opfer- und Zeugenhilfe sowie Therapiestunden. Das Landgericht Wuppertal sprach einer Frau ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro zu. Sie wurde 72 Stunden in einer Wohnung festgehalten, mehrmals missbraucht und mit einem Messer bedroht. Zudem war sie zu diesem Zeitpunkt schwanger (LG Wuppertal, Urteil vom 05.02.2013 - Az. 16 O 95/12).
In § 177 StGB werden die Delikte des sexuellen Übergriffes, die sexuelle Nötigung und die Vergewaltigung geregelt. Die Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 StGB stellt einen besonders schweren Fall dieser Delikte dar. Damit § 177 StGB überhaupt angewendet werden kann, muss mindestens ein sexueller Übergriff nach § 177 Abs. 1 StGB, die sexuelle Ausnutzung sonstiger Umstände nach § 177 Abs. 2 StGB oder der Versuch einer sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 3 StGB vorliegen.
Eine Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB liegt dann vor, wenn eine dieser sexuellen Handlungen mit dem Eindringen in den Körper des Opfers verbunden ist.
Als Beispiel nennt das Strafgesetzbuch die Durchführung des Geschlechtsverkehrs (Beischlaf). Aber auch beischlafähnliche Handlungen sind von der Norm erfasst. Darunter sind sexuelle Handlungen zu verstehen, die mit einer besonderen Erniedrigung des Opfers einhergehen und damit das Opfer objektivieren und degradieren. Unter beischlafähnliche Handlungen fällt das orale, vaginale oder anale Eindringen in den Körper mit Fingern oder Gegenständen wie auch der vollzogenen Oral- oder Analverkehr.
Der individuelle Kontext entscheidet über die Strafhöhe mit, das Gesetz unterscheidet zwischen verschiedenen Strafrahmen. Eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird in der Regel verhängt, wenn der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug verwendet. Dasselbe gilt, wenn das Opfer während der Tat schwer misshandelt wird oder in Lebensgefahr gebracht wird (§ 177 Abs. 8 StGB). Für eine Strafbarkeit ist es ausreichend, dass der Täter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt. § 177 Abs. 7 StGB sieht dafür eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vor. Das gilt auch, wenn das Opfer in eine Situation gebracht wird, in der die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung besteht.
Für die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung genügt bereits eine Traumatisierung des Opfers oder die Infektionsgefahr mit HIV oder anderen Geschlechtskrankheiten.
Das Gesetz sieht den gleichen Strafrahmen vor, wenn eine sexuelle Straftat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird (§ 177 Abs. 6 Nr. 2 StGB). Dabei ist § 177 Abs. 6 StGB jedoch als Regelbeispiel ausgestaltet. Dies bedeutet, dass trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall verneint werden kann, wenn das Tatbild bei einer Gesamtabwägung von Tat und Täter nicht die erforderliche Schwere erreicht.
Die Schwierigkeit in einem Strafverfahren liegt oftmals in der Tatsache begründet, dass einer Vergewaltigung selten Zeugen beiwohnen. Es steht Aussage gegen Aussage und es müssen alle Aussagen und Beweise gegeneinander abgewogen werden. Besonders schwierig ist die Einschätzung, wenn die mutmaßliche Vergewaltigung im Rahmen einer (beendeten) Beziehung geschehen ist. Auch die Beweislage kann schwierig sein, wenn das Opfer sich beispielsweise nicht direkt nach der Tat untersuchen ließ und Spuren nicht gesichert werden konnten.
Die Verjährungsfrist richtet sich nach dem höchsten Strafrahmen, der bei einer Vergewaltigung verhängt werden kann. Gemäß § 78 StGB liegt die Verjährungsfrist für eine Vergewaltigung demnach bei 20 Jahren. Eine Besonderheit ist jedoch, dass diese Frist ruht, bis dass das Opfer das 30. Lebensjahr vollendet hat (§ 78b StGB). So kann das Opfer faktisch bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres Anzeige erstatten. Die individuelle Berechnung von Verjährungsfristen ist komplex, weshalb es empfehlenswert ist, sich mit diesem Anliegen an einen Anwalt für Strafrecht zu wenden.
In einem Strafverfahren kann festgestellt werden, dass die Tat weitere Straftatbestände erfüllt. So kann der Täter sich mit einer Tat auch des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176c I Nr.2 StGB), des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) oder beim Tod des Opfers, auch des Mordes schuldig machen.
Wer Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, hat mehrere Möglichkeiten. Empfehlenswert ist es, sich möglichst direkt nach der Tat einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. So können wichtige Spuren für die Beweisnahme gesichert werden. Möglich ist es auch, sich direkt an die nächstliegende Polizeidienststelle zu wenden oder online eine Anzeige aufzugeben. Wichtig zu wissen ist, dass eine Vergewaltigung ein Offizialdelikt ist, das von staatlicher Seite verfolgt werden muss. Die Folge ist, dass man mit einer Rücknahme der Anzeige das Verfahren nicht beenden kann. Wer sich zunächst Rat einholen möchte, kann sich an einen Anwalt für Strafrecht oder eine Beratungsstelle wenden.
Wer sich dafür entscheidet, Anzeige wegen Vergewaltigung zu erstatten, wird zunächst zur Anzeigenaufnahme gebeten. Wurde noch keine medizinische Untersuchung vorgenommen, erfolgt diese in der Regel anschließend in einem Krankenhaus. Als betroffene Person wird man zudem noch von speziell geschultem Personal vernommen. Im Rahmen der Anzeigenerstattung erhalten Opfer weitere Informationen zu Beratungsstellen oder Hilfsorganisationen, die diese auf der Suche nach einer Anwältin für Strafrecht oder psychologischer Unterstützung helfen.
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